Rechtsextremismus – Musik und Medien

Rechtsextremismus – Musik und Medien

Organisatoren
Yvonne Wasserloos / Isolde Malmberg, Hochschule für Musik und Theater Rostock (hmt); Sabine Mecking, Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Duisburg; Manuela Schwartz, Hochschule Magdeburg-Stendal
Ort
Rostock
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.01.2018 - 20.01.2018
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Von
Johannes Hörnschemeyer, Universität Rostock / Jan Thürmer, Hochschule für Musik und Theater Rostock

Rechtsextremistische Musik ist kein aktuelles Phänomen, sondern existiert seit Beginn der Bundesrepublik. Gleichwohl wird es zunehmend schwieriger, sie als solche zu identifizieren. Um über Kontinuitäten und Wandel in der rechtsextremen Musikszene sowie über Möglichkeiten und Grenzen ihrer Erforschung zu diskutieren, fand in Rostock eine zweitägige interdisziplinäre Konferenz statt, an der Vertreter/innen aus den Geschichts-, Musik- und Sozialwissenschaften teilnahmen.

WOLFGANG BENZ (Berlin) gab zu Beginn einen historischen Abriss zu den Entwicklungslinien des Rechtsextremismus in Deutschland nach 1945. Einen ersten, frühen Moment des öffentlich sich ereignenden Rechtsextremismus verortete er gegen Ende der 1950er-Jahre, die mit erneuten antisemitischen Agitationen einhergingen. Nachfolgend fand der Rechtsextremismus mit der Gründung der NPD und der Wehrsportgruppe Hoffmann organisierte Formen. Bis in die Gegenwart entstanden mit dem NSU, PEGIDA und der Partei Alternative für Deutschland (AfD) weitere Organisationen aus dem rechten ideologischen Spektrum. Als drei wesentliche Selbstverständnis- und Handlungskategorien des Rechtsextremismus benannte BENZ Gesinnung bzw. Ideologie, Zielsetzung und Methoden.

Musik ist ein essenzieller Bestandteil besonders des deutschen Rechtsextremismus. Sie ermöglicht eine verdeckte Kommunikation politischer und ideologischer Inhalte. SABINE MECKING (Duisburg) unterstrich zunächst mit Verweis auf historische Beispiele die besondere Bedeutung von Musik zur Verbreitung von politischen Botschaften. Sie erläuterte, dass die Musik in der Regel durch den Text oder den Aufführungs- und Rezeptionskontext ihre politische Aufladung erhalte. Dies gelte auch für die Musik der extremen Rechten. So sei diese im Zuge einer stärkeren Gegenwartsorientierung längst nicht mehr auf Marschmusik, völkische Balladen und Rechtsrock beschränkt, sondern integriere mit NS-Hardcore (Hatecore) oder nationalistischen Rap auch Musikstile, die ursprünglich den ideologischen und politischen Gegnern vorbehalten waren. JAN PHILIPP SPRICK (Rostock) verdeutlichte, dass durch Metaphern und Anspielungen oft ein offenkundig rechter und latent verfassungsfeindlicher Ton angeschlagen werde. Dabei sei das ästhetische Erscheinungsbild in jüngerer Zeit stärker gegenwartsorientiert. Daneben bediene sich das rechte Spektrum auch immer wieder Musikstilen, die mit ganz anderen politischen Kontexten assoziiert werden, wie zum Beispiel Hip-Hop oder dem Liedermacher-Stil.

Neben dieser originär aus der rechten Szene stammenden Musik interessiert sich die Forschung verstärkt für ursprünglich nicht-politische Musik, mit der sich rechte Gruppierungen im Internet, besonders in sozialen Netzwerken, präsentieren. YVONNE WASSERLOOS (Rostock) konnte belegen, dass diese Musik, die ihren Videoclips hinterlegt ist, oft anderen Kontexten entstammt, z.B. der Werbemusik oder der Filmmusik. Gerade monumental angelegte, pathetische Orchestermusik mit repetierenden Momenten sei dabei beliebt. Die Musik solle Bildaussagen unterstützen, diese funktionalisieren und Identifikation oder im besten Fall Partizipation bei den RezipientInnen hervorrufen. Es konnte deutlich gezeigt werden, dass Musik per se unpolitisch ist. Erst ihr „Einsatzgebiet“ vermag die Musik in ein entsprechend rechtes Licht zu rücken.

Zum Abschluss des ersten Tagungstages richtete FABIAN BADE (Rostock) den Fokus auf die Gruppe Rammstein. Sie sei zurzeit, gemessen am Gesamtumsatz, die erfolgreichste deutschsprachige Band weltweit. Die Musikgruppe habe es sich zu Eigen gemacht, durch starke Provokationen immer wieder im öffentlichen Gespräch zu bleiben. Dabei scheue die Band weder jugendgefährdende Inhalte noch explizit nationalsozialistische Symbolik in ihren Texten, auf Bildern und während ihrer Bühnenshows. Der Vortrag konnte aber zeigen, dass es sich hierbei um geplante Provokation und ein gezieltes „Spiel mit dem Feuer“ handele.

Nach diesen historischen Analysen und musikwissenschaftlichen Einordnungen wurde der Blick verstärkt auf die Handlungsfelder gerichtet, in denen rechtsextreme Musik eine Rolle spielt. Hierbei lag der Fokus zunächst auf ihrer Öffentlichkeit und Rezeption. In Bezug auf die Eventkultur rechtsextremer Musik stellte JAN RAABE (Bielefeld) fest, dass mittlerweile deutlich mehr Liederabende als Konzerte dokumentiert würden, wobei ebendiese Dokumentation durch die schwierige Zugänglichkeit der Quellen behindert werde. Eine Vielzahl an rechtsextremen Musikveranstaltungen werde erst gar nicht öffentlich bekannt. THORSTEN HINDRICHS (Mainz) betonte, dass Rechtsrock an sich noch nicht rechtsextrem sei, sondern erst durch die Verbindung mit weiteren Elementen wie beispielsweise dem Text in das rechte Spektrum eingeordnet werden könne. Diese Musik als ‚Einstiegsdroge‘ zu bezeichnen, werde abgelehnt, da die HörerInnen nicht aufgrund der Musik rechtsradikal würden, sondern sich bereits mit einer politisch rechtsextremen Einstellung identifizieren könnten. Im Allgemeinen könne von einer Etablierung und Professionalisierung rechtsextremer Musikdarbietungen gesprochen werden.

CHRISTOPH SCHULZE fokussierte die Autonomen Nationalisten, eine seit 2002 agierende Gruppierung jüngerer RechtsextremistInnen, die das politisch linke Spektrum als Feind ansieht, dennoch ihre Ästhetik kopiert und durch extrem aggressives Verhalten auffällt. Insbesondere bei dieser Gruppierung zeige sich die oben genannte Öffnung rechtsextremer Musik gegenüber einer Vielzahl von Musikstilen wie dem Rap oder dem Hip-Hop, um zeitgemäß und attraktiv für ein breites Gesellschaftsspektrum zu sein.

Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung lag auf den Praxisfeldern des Umgangs mit rechtsextremer Musik, wobei besonders Bildungskontexte thematisiert wurden. MICHAELA GLASER (Halle) führte aus, dass die Rezeption rechtsextremer Musik vielseitige Gründe hat und im Besonderen als „sozialer Brückenschlag“ zu anderen, also zur Kontaktaufnahme zu Gleichgesinnten genutzt wird. Daneben übernehme Musik die Funktion des ‚Moodmanagements‘. Dabei komme es entweder zum Ab- oder Aufbau aggressiver Stimmungen. Dies geschehe individuell, habe aber auch eine gruppenspezifische Funktion, beispielsweise der Identitätsstiftung und der Vergemeinschaftung.

Anhand der rechtsextremen Gewaltausschreitungen in Lichtenhagen im Jahre 1992 verdeutlichte GUDRUN HEINRICH (Rostock), von welch großer Wichtigkeit und Brisanz der Umgang mit rechtsextremen Thematiken in Bildungskontexten ist. Die rechtsextremen Ausschreitungen in Lichtenhagen gelten dabei als prägendes Ereignis in der Auseinandersetzung mit Fremdenhass und Rechtsextremismus in den 1990er-Jahren. Heinrich unterstrich als Folge aus „Lichtenhagen“, dass es das Ziel politischer Bildung sein müsse, Demokratiekompetenzen zu bilden und zu fördern. Insbesondere die Schule stellt einen Ort zu Entwicklung jede Einzelnen zur politischen Mündigkeit dar.

CLAUDIA BANGERT (Magdeburg) berichtete von ihrer Arbeit zur Identifizierung rechtsextremer Musik, für die in einzelnen Bundesländern explizit Abteilungen als Mittel polizeilicher Inter- und Präventionsmaßnahmen eingerichtet wurden. JAN PETER KOCH unterstrich in seinem Beitrag, dass für den Musikunterricht derzeit lediglich eine geringe Anzahl an geeigneten Materialien vorhanden sei. Eine Folge sei, dass das Thema „Extremismus und Musik“ auch aus diesen Gründen vermutlich zu wenig aktuell im Musikunterricht aufgegriffen werde.

In der Abschlussdiskussion (Roundtable) der Tagung wurde der Wunsch nach einer Fortsetzung der interdisziplinären Zusammenarbeit betont, um eine breitere Themenperspektive und bessere Vernetzung untereinander zu erzielen. Deutlich wurde im Tagungsverlauf, dass das hochkomplexe, vielschichtige Thema sinnvoll und ertragreich in interdisziplinären Kontexten zu erforschen und diskutieren ist. Insbesondere Fragen zur Erstellung von Bildungsangeboten und zur Sensibilisierung des (jüngeren) Zielpublikums im Erkennen und Umgang mit rechtsextremen Ansichten und Handlungen wurden als Desiderate formuliert. Hier ist die Forschung gefordert, Wissenschaft und Praxis stärker miteinander zu verbinden und öffentlich zu machen, um die historisch-politische Bildung zu unterstützen und demokratische Haltungen zu fördern und zu stärken.

Einführungen
Wolfgang Benz (Technische Universität Berlin): Rechtsextremismus – Anfänge und Entwicklungen

Sabine Mecking (Institut für Geschichte und Ethik, Fachhochschule
für öffentliche Verwaltung NRW, Duisburg): Alte Ideologie und neue Musik? Die musikstilistische Pluralisierung der extremen Rechten

Jan Philipp Sprick (Institut für Musik, hmt Rostock): Die Ambivalenz der Musik als Potenzial rechtsextremistischer Propaganda

Rechte Szene und Musik

Thomas Pfeiffer (Ministerium des Innern NRW, Abtlg. Verfassungsschutz, Düsseldorf): Erlebniswelt Rechtsextremismus. Musik – Symbolik – Bildersprache (entfallen)

Yvonne Wasserloos (Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik, hmt Rostock): Verschleierung und Übergriff. Mainstream-Musik in der rechtsextremen Szene

Fabian Bade (Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik, hmt
Rostock): Rammstein und das Spiel mit dem Feuer. Inszenierte Provokation im gesellschaftspolitischen Kontext

Performanz und Rezeption
Jan Raabe (Argumente & Kultur gegen Rechts e.V., Bielefeld): Quantitative und qualitative Dimensionen der Eventkultur des Rechtsrock

Thorsten Hindrichs (Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft,
Abtlg. Musikwissenschaft, Johannes Gutenberg-Universität Mainz): „Die einzige Möglichkeit […] ist der kommerzielle Erfolg“ – Überlegungen zur ‚Einstiegsdroge‘ Rechtsrock

Christoph Schulze (Moses Mendelssohn Zentrum, Universität Potsdam): Soundtrack für den Kampf um die Straße – Musik bei den Autonomen Nationalisten

Methoden, Bildung und Praxis

Manuela Schwartz (Fachbereich Soziale Arbeit, Gesundheit und Medien, Hochschule Magdeburg-Stendal): Forschung in der Black Box. Methodologische Überlegungen zu wissenschaftlichen Studien über rechtsextreme Musik (entfallen)

Michaela Glaser (Deutsches Jugendinstitut e.V., Außenstelle Halle): Rechtsextreme Musik – Funktionen für jugendliche Hörer_innen

Gudrun Heinrich (Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften,
Universität Rostock): „Lichtenhagen 1992“ als Lerngegenstand politischer Bildung

Claudia Bangert (Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt, Magdeburg): Die Praxis polizeilicher Ermittlung zur rechtsextremen Musik

Jan-Peter Koch (Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik, hmt Rostock/Musikgymnasium Käthe Kollwitz Rostock): Rechts-Mitte-Links: Zum Umgang mit extremistischer Musik im Musikunterricht

Roundtable – Abschlussdiskussion
Moderation: Yvonne Wasserloos

Gideon Botsch (Moses Mendelssohn Zentrum, Universität Potsdam) / Isolde Malmberg (Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik, hmt Rostock)
Jan Raabe / Manuela Schwartz / Susanne Winnacker (hmt Rostock)


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Deutsch
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